Am Lipnik

Über das Internet kam ich in Kontakt mit Erik, dem Betreiber der Website Erikscollectables.com. In seiner Sammlung befindet sich das Fotoalbum des Artilleristen Gustav Almási, dessen Fotografien er freundlicherweise zur Verfügung stellte. Almási zog als junger Fähnrich in den Ersten Weltkrieg an der oberen Isonzofront und wurde im Kriegsverlauf bis zum Oberleutnant befördert. Sein Schicksal verschlug ihn in den Frontabschnitt Javorscek - Vrsic - Lipnik -Lemez, also grob gesagt in das Krngebirge. Er diente mit der Gebirgs-Kanonen-Batterie 3, welche sich den gesamten Zeitraum der Kämpfe am oberen Isonzo dort befand. Wie lange er genau dort eingesetzt war ist nicht genau zu sagen, jedenfalls begann er 1917 damit zu Fotografieren und somit das Leben der Österreich-Ungarischen Artilleristen für die Nachwelt zu dokumentieren. In diesem Frontabschnitt war das Leben für die Soldaten beider Seiten besonders hart, denn es handelte es sich um einen Brennpunkt der Front an dem es täglich zu Artillerieüberfällen und Infanterieangriffen kam wobei die Frontlinien beider Seiten teilweisen nur 30 Meter auseinander lagen. Doch nicht nur der Gegner machte den Soldaten das Leben schwer, ein weiterer Feind beider Seiten war die Natur. Das Frontgebiet liegt oberhalb der Baumgrenze in felsigem Gebiet ohne Vegetation und ist nur durch stundenlange anstrengende Fußmärsche zu erreichen. Es gab und gibt so gut wie keine natürlichen Wasservorkommen in diesem Gebirge. Für die Soldaten dort oben bedeutete das, dass sie alles zum Überleben benötigte Material hinauftragen mussten. Neben den in Einzelteilen zerlegten Kanonen und der Munition trugen sie jedes benötigte Brett, jeden Nagel und jedes Stück draht auf ihrem Rücken oder dem eines Tragtiers hinauf in die Stellung. Erst mit dem Fortschreiten des Krieges konnte eine Seilbahnverbindung geschaffen werden. Bis dahin musste zusätzlich jedes Stück Brot, jeder Liter Wasser und jedes Scheit Holz eigenhändig hinaufbefördert werden. Der Stellungsbau gestaltete sich ausgesprochen schwierig, der Boden bestand fast nur aus Geröll und sichere Deckungen vor dem feindlichen Artilleriefeuer für Mann und Geschütz mussten in den blanken Fels gebohrt oder gesprengt werden. Im Sommer können die Temperaturen auf bis zu 40 °C steigen und im Winter auch fast genau so tief fallen. Unter normalen Umständen ist dieses Gebiet eigentlich nicht zum Dauerhaften verweilen für Menschen geeignet.

 

Der Lipnik ist noch heute ein wenig begangener Berg obwohl das obere Socatal unter Outdorrfreunden schon lange kein Geheimtip mehr ist. Der Lipnik liegt gegenüber des von den Italienern besetzt gehaltenen Vrsic-Rückens. Hier verlief  die 1. Verteidigungslinie der Österreicher, in seinen felsigen Hängen waren Gebirgsgeschütze in Kavernen eingebaut. Auf der feindabgewandten Seite waren die Unterkünfte, Depots und der Verbandsplatz der Besatzung sowie später die Endstation der Materialseilbahn. 

 

Nachdem die Italienier bereits zu Beginn der Kämpfe im Jahre 1915 den Vrsic-Rücken und auch den Krn der nur schwachen Besatzung von Honvéd-Infanteristen entrissen hatten, zogen diese sich nur soweit als unbedingt nötig zurück. Obwohl sie überrannt worden waren harrten die überlebenden ungarischen Soldaten in der Hoffnung auf Verstärkung in den Felshängen des Vrsic, Lipnik und Lemez aus. Nach drei endlosen Tagen ging ihre Hoffnung in Erfüllung. Das Gebirgs-Schützen-Regiment 1 aus Kärnten (bis 1917 Landwehr-Infanterie-Regiment 4 genannt) traf nach ununterbrochenem Marsch bei den ausharrenden Honvéd ein. Nach der Einnahme des Vrsic-Hauptkammes hatte das Österreich-Ungarische Oberkommando ein agressives Fortsetzen des Angriffes seitens der Italiener erwartet und bereits befürchtet das ganze Krn-Gebirge zu verlieren. Doch die Italiener gaben sich mit ihren Erfolgen auf dem Vrsic-Hauptkamm zufrieden und bauten dort Stellungen aus. Die Italiener hatten ihren Fehler aus den ersten Kriegstagen an der Isonzofront wiederholt. Von nun an, bis zur Herbstoffensive im Jahr 1917 bewegte sich die Front nicht mehr.