Bovec 1915-1917

Bovec / Markt Flitsch 1915. Aufgenommen aus den Cukla Hängen. Sammlung Isonzofront.de
Bovec / Markt Flitsch 1915. Aufgenommen aus den Cukla Hängen. Sammlung Isonzofront.de

Der Ort Bovec (dt. Flitsch, ital. Plezzo, in alten Quellen auch Markt Flitsch genannt) lag, wie Tolmin auch, im Mittelpunkt der Kämpfe an der oberen Isonzofront. Für die einheimische Bevölkerung wurde ihre geliebte Heimat zum Kriegsschauplatz den sie zwangsläufig nicht mehr bewohnen konnten. Die Einwohner von Bovec waren gezwungen bei Verwandten oder Bekannten im Landesinneren Unterschlupf zu suchen. Die Militär- und Polizeibehörden ließen der Zivilbevölkerung keine Wahl und zwangen die Menschen ihre Heimat in nur wenigen Tagen zu verlassen. Doch nicht alle kamen bei Familienangehörigen unter. Viele Familien mussten im Inneren der Monarchie in Lagern mit anderen Menschen aus Frontgebieten die Kriegsjahre verbringen. Die Menschen glaubten an einen kurzen Krieg und konnten sich nicht vorstellen mehr als 2 Jahre in der Emigration zu leben. Das Leben in diesen Lagern wurde von allen Zeitzeugen als sehr spartanisch, hart und von Entbehrungen geprägt beschrieben. Auch waren die Kriegsflüchtlinge nicht immer willkommene Gäste. Überall hatte man seine Sorgen über die Runden zu kommen und zusätzliche Menschen bedeuteten auch zusätzliche Mägen die gefüllt werden mussten. 

 

Die Österreich-Ungarischen Truppen hatten den Ort gleich zu Beginn des Krieges Ende Mai 1915 aufgegeben und sich auf eine günstigere Verteidigungsstellung am östlichen Ortsrand von Bovec zurückgezogen. Für etwa drei Monate war der Ort verwaist, denn die Italienische Armee besetzte den Ort nicht so schnell wie man es seitens der Verteidiger erwartet hatte. Der Ort lag praktisch im Niemandsland. Nur zögerlich trauten sich die italienischen Streitkräfte in den Ort einzudringen. Zunächst begnügte man sich damit, die Stellungen der Verteidiger aus sicherer Entfernung mit Artillerie zu beschießen. In dieser Zeit wagten sich die Verteidiger immer wieder in der Nacht zurück in den Ort, um in den verlassenen Häusern nach Brauchbarem zu suchen.

So berichtet es der Tiroler Anton Dörrer in seinem noch während des Krieges erschienen Buch:

"Vom Isonzo bis in die Seisera - Feldbriefe eines Tiroler Zugkommandanten aus dem kürstenländisch-kärnterischen Stellungsgraben von 1915/16" 

Dörrer war Offizier und Zugkommandant beim K.u.K. Feldjägerbataillon Nr. 20 und mit seinem Zug im August 1915 am Ortsrand von Bovec eigesetzt. Da sein Werk noch während des Kriegs erschien sind die meisten Namen von Personen und Orten unkenntlich gemacht, aber im Gesamtkontext wird klar das es um die Verteidigungsstellung auf dem Ravelnik östlich von Bovec geht. Diese Stellung, welche den ganzen Krieg über gehalten wurde, kann man heute als Freilichtmuseum besichtigen. Es gibt noch viele Kavernen und Schützengräben zu sehen. In seinen Briefen schildert Dörrer kleine Anekdoten und Ereignisse, die man in den allgemeinen und sachlichen Darstellungen des Kriegsverlaufes nicht finden kann. Es spiegelt sich darin auch seine Weltauffassung wider, die wie man es ahnen kann nicht viel Gutes für den neuen Feind übrig hatte. Jene Passagen, in welchen er abwertend über die italienischen Gegner spricht, habe ich versucht in meinen Zitaten auszulassen. Der österreich-ungarische Verdruss über den italienischen Bruch des Dreierbundes ist allgemein bekannt und soll in diesem Artikel nicht behandelt werden. Im Vordergrund sollen seine Berichte über das Kriegsgeschehen stehen.  So schreibt er auf S.35 ff. von einem nächtlichen "Besorgungsunternehmen" in das verlassene Bovec anlässlich  Maria Himmelfahrt (15.08.1915): "

Blick aus der Verteidigungsstellung am Ravelnik auf Bovec. Julisch-Karnische-Kriegszeitung Mai 1916.
Blick aus der Verteidigungsstellung am Ravelnik auf Bovec. Julisch-Karnische-Kriegszeitung Mai 1916.

Der verlassene Markt

 

Vor unseren Stellungen liegt F..... (Flitsch), einsam und verödet. Die Uhr am schmucken Kirchturm steht seit Monaten still und zeigt gegen 12. Es geht gegen Mitternacht, Markt! Für unsere Unterstände brauchen wir Bretter, Ziegel und Einrichtungsgegenstände. Wir müssen requirieren. Soll all das brauchbare Zeug da drüben im Markte verderben?[...]

 

[...] Durch hohes, sonnverbranntes Gras und überwucherte Äcker, über die der Pflug als letzter gewandert ist, stapfe ich mit meinen Leuten in weiten Bogen außerhalb des Sichtbereiches den ersten Häusern des Marktes zu. Keine menschliche Spur, kein Leben mehr. 

Die Pfarrkirche von Bovec 1915. Sammlung Isonzofront.de
Die Pfarrkirche von Bovec 1915. Sammlung Isonzofront.de

 

Zuerst ein halb abgebranntes Haus, daß niemand mehr aufzuräumen sich Zeit nahm. Endlich der Markt selbst, entlang der Verkehrstraße eine stattliche Häusergemeinde mit massiven Gebäuden und kupferroten Ziegeldächern, ein Bild bürgerlichen Aufschwunges, der Wohlhabenheit und Behaglichkeit ehrlich und langsam erworbenen Besitztums. Erst vor wenig Jahren ist ein Großteil der breiten Marktgassen nach einem verheerenden Brande neu aufgebaut worden und sie bilden jetzt den Grundstock vom Groß-Markt.[...]Noch hat der Welsche den Ort nicht betreten; nur spähend, vorsichtig, zögernd, frech und feig rückt er gemäß den von Frankreich erhaltenen Lehren langsam an die Grenzen vor...Aber dafür schickt er den Schatten des Verderbens über die lichten Straßen mit seinem Feuer voraus, daß die Bauten wie Grabsteine uns anstarren. Kein Leben wohnt ihnen mehr inne, kein Hoffen, kein Freuen, keine Daseinslust. Was sich noch zu rühren wagt, ist schon dem Tode geweiht. Fast verhungerte Katzen umschleichen die Türen und springen, halb ängstlich, halb gierig, an dich heran.[...]Fenster sind im Zorne zersprungen, Türen frech aufgerissen, Keller zugemauert. In selig verträumten Höfen lagert alter Hausrat; Wohnungen reden von eiliger Flucht, von Häuslichkeit und Jammer, vom jungslowenischen Nationalerwachen und von alter Kaisertreue.

Der zerstörte Altar im Inneren der Pfarrkirche. Daneben hat sich ein ital. Soldat ablichten lassen. Sammlung Isonzofront.de
Der zerstörte Altar im Inneren der Pfarrkirche. Daneben hat sich ein ital. Soldat ablichten lassen. Sammlung Isonzofront.de

Am stolz-steifen Gemeinde-Neubau hat man nur allzu fürsorglich Eingänge und Fenster versichert; da wird wohl das Beste zu holen sein. Nur die beiden Kirchen am Gelände öffnen sich dir gerne. Trauernd und fragend schauen die staubbedeckten Heiligen auf die fremden Krieger herab, dessen Flügelnägel an den Schuhen schrill über den Steinboden fahren. Du erschrickst in der kalten Totenstille über den eigenen Lärm. Im "Hotel zur Post", einem altehrwürdigen Hause, sind Gäste eingezogen. Es sind unangenehme Herrschaften, mit langen Bajonetten und Pistolen an der Seite: unsere Posten und Gendarmen. Kein Wirt will sie bedienen, und so müssen auch sie ihre Menage von unserer Stellung aus beziehen. Vornehmes Gasthaus, das nicht einmal das Gesinde bewirtet! Ob sie vielleicht nicht doch irgendwo einen guten Tropfen angetroffen haben? Einiges hatten uns die Mäuse noch finden lassen, sogar Seife, Kerzen selbst! An Obst bersten fast die Baumgärten und aller Widerspruch der Kontrolle nützt nichts: während ich nach dem Rechten sehe hat schon einer meiner Jäger anderswo einen Sack gefüllt. Auch eine Waschschüssel, eine Küchenlampe, Gläser, Teller gehen mit.[...]

Beharrlich zeigt die Kirchenuhr über die elfte Stunde hinaus. Und schwüler ist's wie vor einem Gewittersturme geworden. Arme Gemeinde! Ob deine Bauten schon zu Königin Namenstag im Feuer der Brandgranaten zusammenstürzen werden?!"

Ein italienischer Soldat im Inneren der zerstörten Pfarrkirche von Bovec. Die Aufnahme dürfte zum Ende des Jahres 1915 entstanden sein. Sammlung Isonzofront.de
Ein italienischer Soldat im Inneren der zerstörten Pfarrkirche von Bovec. Die Aufnahme dürfte zum Ende des Jahres 1915 entstanden sein. Sammlung Isonzofront.de

So requirierten die Jäger in den folgenden Tagen noch vieles Nützliche aus dem verlassenen Bovec. Aber die italienischen Angreifer begnügten sich auf Dauer doch nicht mit ihrem Artilleriefeuer aus der Ferne. In den letzten Augustwochen drangen sie mit ihrer Infanterie vor und besetzten den Ort. Auch die Stellungen der Jäger östlich von Bovec griffen sie im folgenden Monat an, konnten sie allerdings nicht durchbrechen. Den Ort gaben sie aber nicht mehr aus der Hand. Es kam wie Anton Dörrer es geahnt hatte. Von den Ereignissen Ende August berichtet er uns in seinem Buch auf Seite 61 ff.:

 

"Flitsch in Flammen - Ende August 1915

Düstere Nacht schon! Drüben im Markte (Anm. Markt Flitsch), 1000 Schritte von unseren Stellungen, steigt die dritte Feuersäule auf. Das ist nun das Befreiungs- und Siegeswerk der Welschen, daß sie nach dreimonatlichem Kriege endlich so nahe an unsere von vornherein bestimmte Verteidigungslinie herangekommen sind, sich für zwei, drei Tage im Orte eingenistet, eine neue Kapelle als Hauptpostenplatz und den Marktbereich zur Aufstellung ihrer Batterien ausgesucht haben und also uns zur Beschießung der verlassenen Gemeinde gezwungen haben. 

Blick vom Marktplatz hinauf zur Pfarrkirche und in die Cuklahänge. Auf der Straße posiert ein ital. Soldat mit Gebirgsstock. Sammlung Isonzofront.de
Blick vom Marktplatz hinauf zur Pfarrkirche und in die Cuklahänge. Auf der Straße posiert ein ital. Soldat mit Gebirgsstock. Sammlung Isonzofront.de

Lichterloh brennen schon die Garben, die Feuersäulen winden und biegen sich, die Schiefer krachen, der erste Dachstuhl stürzt und reißt das Nächste in den Brand. Bald hat die Feuersbrunst hunderte von Metern in der Ausdehnung gewonnen. Der südliche Flügel des Marktes fällt dem Element zum Opfer; ein furchtbares Donnern und Beben. Als wenn Maschinengewehre sich in Tätigkeit setzten, krachen die Patronenverschläge der Welschen in die Luft. Unsere Artillerie hat gut gezielt, die andere aber will immer noch beweisen, daß sie unversehrt geblieben sei, und reizt die unsrige zur neuerlichen Erwiderungen. Unheimlich beleuchtet, hebt sich die schmucke Pfarrkirche auf ihrem Hügel über die Feuerlinie hinaus. Ihr Turm hat schon seinen Volltreffer in das Ziffernblatt der Uhr erhalten. Noch stehen die meisten der stolzen steinernen Bauten, die der Brüder Fleiß und Reichtum in dem letzten Jahrfünft (nach einem großen Brande) errichtet hat. Aber wie lange noch? Unglückseliger, schöner Markt!

Unsere Soldaten starren in die Feuerwolken. Einige unter ihnen entstammen dieser Gegend, ja aus dem Orte selbst. Welche Gefühle mögen sie beherrschen?[...]

[...]Und wie endlich der Morgen graut, grüßen Ruinen herüber, ragen rauchende Mauern empor und bald wird der stolze slowenische Markt nur mehr ein Friedhof, die durch drei Monate vereinsamte, zum Märchen gewordene Gemeinde eine große Grabstätte sein."

Der Markt von Flitsch 1915. Das Ursprüngliche Ortsbild lässt sich heute noch erahnen. Sammlung Isonzofront.de
Der Markt von Flitsch 1915. Das Ursprüngliche Ortsbild lässt sich heute noch erahnen. Sammlung Isonzofront.de

Die ganze Zeit der Kampfhandlungen über hausten die Italiener von nun an in den Ruinen und Kellern von Bovec. Kaum ein Tag verging an dem die Gemeinde nicht von Artillerie beschossen wurde. Erst im Oktober 1917, in der 12. Isonzoschlacht, wurden die Italienern von der 14. Deutsch-Österreich-Ungarischen Armee aus dem Ort geworfen. Bereits in den ersten Monaten des Jahres 1918 kehrten die ersten Einwohner von Bovec aus der Vertreibung zurück  und bauten ihre nur noch aus Ruinen bestehende Heimat wieder auf. Noch bis weit in das Jahr 1918 hielten sich deutsche und ö.-u. Truppen im Ort auf. Sie waren damit beschäftigt wieder verwertbare Dinge aus den ehemaligen Stellungen im Hochgebirge zu bergen und ins Tal zu bringen. Sie wurden dazu in sogenannten "Sammel-Kompanien" zusammengefasst. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie und dem gleichzeitigen Kriegsende zogen noch einmal Heerscharen auf dem Weg in die österreichische Heimat durch das Tal von Bovec. Wenig später besetzten die Italiener das Gebiet und der erste Weltkrieg am oberen Isonzo war zu Ende. Das Ortsbild hat sich durch den Neuaufbau des Ortes verändert. Manche Gebäude, so zum Beispiel einige Kirchen, wurden nicht wieder errichtet und viele Gebäude im Ortskern wurden nur ähnlich wiederaufgebaut. Dennoch ist das Ortsbild in etwa gleich geblieben und es fällt nicht schwer alte Fotografien wieder zu erkennen. Besonders markant ist die noch heute genutzte Kirche in der Dorfmitte oberhalb des Marktplatzes, sie ist unverändert erhalten geblieben. Nicht unverändert blieb der Ortsname von Bovec innerhalb der letzten 100 Jahre. Zu Zeiten der K.u.K. Monarchie, als die Amtssprache Deutsch war, nannte man die Gemeinde Markt Flitsch oder nur Flitsch. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde die Region italienisch besetzt, von nun an nannten die Italiener den Ort Plezzo. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges verlor Italien die Gebiete an der Soca und über einige Zwischenschritte wurde das Gebiet zum Teil von Jugoslawien, von nun an nannte man den Ort Bovec. Dies änderte sich auch nicht mehr nach dem Zerfall Jugoslawiens und der daraus folgenden Unabhängigkeit Sloweniens. 

 

Die oben gezeigten Aufnahmen entstammen dem Nachlass eines italienischen Gebirgs-Artilleristen welcher 1915 in den Bergen um Bovec Dienst tat. Die unten gezeigten Aufnahmen entstammen verschiedenen deutschen Quellen und wurden alle während oder nach der 12. Isonzoschlacht (Beginn 24.10.17) aufgenommen. Darunter befinden sich auch Aufnahmen von offiziellen deutschen Kriegsberichterstattern, dem sogenannten Bild- und Filmamt

Quellen: "Vom Isonzo zur Seisera - Feldbriefe von Anton Dörrer" von Dr. Anton Dörrer; Erschienen in Hausens Bücherei Nr. 31 bei der Hausen Verlagsgesellschaft m.b.H., Saarlouis;

Kommentare: 0