Frauen in Uniform sind für uns heute etwas ganz Normales, doch bis weit in die Neuzeit hinein war ihnen der Dienst an der Waffe verwehrt. Um so bemerkenswerter erscheint die kuriose Geschichte um den Schützen Wolf Hauler, welche sich während der 12. Isonzoschlacht und dem Italienfeldzug zutrug.
Bei dem Schützen Wolf Hauler handelte es sich in Wirklichkeit um die aus Wien stammende junge Frau Senta Maria Hauler. Sie war im Jahr 1893 in Graz als Tochter von Oberst Otto Hauler (später Kommandeur des K.u.K. Infanterie Regiments Nr. 79) zur Welt gekommen. Ihr voller Name lautete Maria Amalia Anna Hauler, von ihrer Familie wurde sie allerdings nur May Senta und in späteren Quellen Senta Maria genannt.
Ihr genauer Lebensweg während des Ersten Weltkrieges ist nicht lückenlos dokumentiert. Bekannt ist aber, dass sie vom August bis Oktober 1914 als Krankenpflegerin in verschiedenen Kriegslazaretten tätig war. Darauf folgt eine Lücke in ihrem Lebenslauf bis im März 1917 ihr Vater als Kommandeur seines Regiments an der Südwestfront fiel. Im Sommer 1917 tauchte sie an der Isonzofront als Mitarbeiterin im Etappenstationskommando in Tolmein wieder auf.
Genauer dokumentiert ist ihre Geschichte ab Oktober 1917, als sie sich in Uniform des K.u.K. Infanterie Regiments Nr. 87 als angeblicher Dolmetscher für Italienisch zum Württembergischen-Gebirgsbataillon (WGB) meldete. Das WGB marschierte gerade hinter der Isonzofront bei Tolmein auf. Ihrer Bitte um Aufnahme beim WGB wurde entsprochen und sie wurde als männlicher Schütze Wolf Hauler in das Bataillon eingereiht. Damit hatte sie es geschafft alle Entscheidungsträger über ihr Geschlecht zu täuschen. Man teilte sie der Nachrichtenabteilung zu und sie nahm an allen Kampfhandlungen des WGB während der 12. Isonzoschlacht und dem anschließenden Vormarsch in Italien teil. Besonders als Melde- und Patrouillengängerin bewährte sie sich und wurde sogar im Oktober 1917 mit dem goldenen Verdienstkreuz am Bande der Tapferkeitsmedaille mit Schwertern ausgezeichnet. Das goldene Verdienstkreuz konnte auch für Taten im zivilen Leben verliehen werden. Die Verleihung am Band der Tapferkeitsmedaille mit Schwertern machte jedoch deutlich, dass die Auszeichnung "vor dem Feind" erworben wurde.
Obwohl sie ihren männlichen Kameraden offensichtlich in Nichts nachstand, machte bald das Gerücht die Runde eine Frau sei in den Reihen des Bataillons. Die Vorgesetzten kamen zu dem Schluss, dass man der Sache nachgehen müsse, wussten sich aber nicht recht zu helfen wie man das anstellen solle. Letztlich kam man zu einer ganz pragmatischen Lösung die im Buch "Im Toten Winkel - Gebirgsschützenanekdoten" von Helmut Schittenhelm und Helmut Schwarz niedergeschrieben wurde. Das Buch war 1935 anlässlich einer Wiedersehensfeier der Gebirgsschützen als Erinnerung verteilt worden und enthält viele heitere Geschichten aus dem Leben der Gebirgsschützen. Nach nunmehr 15 Jahren des Suchens konnte ich auch endlich ein Exemplar für meine Sammlung ergattern. Auf Seite 68 ff. findet sich die Anekdote um die Enttarnung des Schützen Hauler:
"Es hat sich allmählich herumgesprochen, daß im Feldzug gegen Italien ein Mädel in den Reihen der württembergischen Gebirgsschützen mitkämpfte. Es war Wolf Hauler, mit richtigem Namen May Senta von Hauler, die Tochter eines gefallenen österreichischen Obersten, die es wohl als einzige Frau im deutschen Heere fertig brachte, in einer ausgesprochenen Angriffstruppe mitzumarschieren. In der Rolle eines von der österreichischen Heeresleitung zugewiesenen Dolmetschers kam Wolf Hauler zum Gebirgsbataillon und verstand es längere Zeit, sein Geheimnis zu wahren. Die Gebirgsschützen werden, wenn die Rede darauf kommt, immer wieder neugierig gefragt, wie man es herausgebracht habe, daß in der Uniform des Dolmetschers ein Mädel steckte. Es war Onkel Paul, ein wackerer Sanitätsfeldwebel, der den allmählich auftauchenden Vermutungen nachging und das Geheimnis auf höchst originelle Weise entschleierte. Er setzte für die Angehörigen der Nachrichtenkompanie, zu der auch Wolf Hauler zählte, einen Fußappell an. Sämtliche Haxen wurden nachgesehen, dann begab sich Onkel Paul zum Bataillonsarzt und erklärte diesem, nun wisse er bestimmt, daß der Dolmetscher eine Dolmetscherin sei. Als der Doktor wissen wollte, wieso, erklärte er: "Herr Doktor, jeder Mann hat auf den großen Zehen Haare, eine Frau aber nie und Wolf Hauler hat auch keine!"
Worauf der alte Alpino (Anm. Major Spreosser, Kommandeur des WGB) den Dolmetscher zu sich kommen ließ und einem Verhör unterzog, daß mit dem Geständnis Haulers endigte. Ihre Bitte, sie nicht fortzuschicken, wurde von Major Spreosser erfüllt; sie wurde der Obhut des Führers der Nachrichtenkompanie unterstellt und hat bis zu ihrer Gaserkrankung am Monte Grappa dem Bataillon als Meldegänger noch manchen guten Dienst geleistet."
Lange Zeit schon besaß ich ein zeitgenössisches Foto auf dem württembergische Gebirgsschützen zu sehen sind, deren Füße nach einem Marsch auf Blasen und Verletzungen kontrolliert werden. Für mich schon immer ein schönes Motiv, doch erst die Anekdote um den Fußappell öffnete mir die Augen. Offenbar hatten die Schützen der Nachrichtenkompanie diesen denkwürdigen Augenblick für ein Foto nachgestellt, denn es ist eindeutig Senta Maria Hauler deren Füße auf dem Bild untersucht wurden.
Nach ihrer Gasvergiftung bei Alano nahe dem Monte Grappa Massiv kam sie nach Deutschland und kurierte ihre Verwundung in Sanatorien im Allgäu aus. Währenddessen bekam sie noch die silberne Militärverdienstmedaille Württembergs verliehen und verließ dann das Militär. Nachdem sie verwundet worden war, konnten ihre Vorgesetzten die Angelegenheit nicht mehr verschweigen und Major Sproesser musste sich für den Vorfall erklären. So gelangte die Geschichte in die offiziellen Militärakten. Für Major Sproesser gab es aber keine nennenswerten Folgen.
Elena Hahn berichtet in ihrem Beitrag "Frauen an der Gebirgsfront" zum Ausstellungskatalog "Die kahlen, kalten Berge" des Wehrgeschichtlichen Museums Rastatt, dass sie später in Wien einen japanischen Diplomaten kennen gelernt hat und mit ihm nach Japan ging. 1960 kam sie noch einmal zurück nach Deutschland und besuchte ein Kameradentreffen der Gebirgsschützen. Danach verliert sich die Spur dieser bemerkenswerten Persönlichkeit.
Quellen:
Im toten Winkel - Gebirgsschützenanekdoten; von Helmut Schittenhelm und Helmut Schwarz;
"Die kahlen, kalten Berge..." Der Erste Weltkrieg im Alpenraum, die Deutsche Gebirgstruppe und das Württembergische Gebirgsbataillon; Begleitband zur Sonderausstellung im Wehrgeschichtlichen Museum Rastatt; Bearbeitet von Alexander Jordan;
Dissertation Universität Wien; Von der „wehrhaften“ Frau zum weiblichen Rekruten - Entwicklungshistorische Perspektiven der österreichischen Soldatinnen; Verfasser: Dr. phil. Christoph Hatschek; http://othes.univie.ac.at/4564/1/2009-03-01_9304435.pdf